... Das Ausweichen vor einer Beschreibung der elektronischen Musik ist
allerdings weder ein Zufall, noch genügt es, den auffälligen
Mangel einer Sucht der Komponisten zuzuschreiben, sich als Techniker zu
maskieren. Die Schwierigkeit ist vielmehr in der Sache selbst
begründet.
Ein Geräusch zu charakterisieren ist kaum anders möglich als
durch Bestimmung des Gegenstandes oder Vorgangs, der es hervorbringt,
oder durch Nennung anderer, ähnlicher Geräusche, an die es
erinnert. Auch Worten wie "Knacken" oder "Rauschen", die zu
übertragbaren Allgemeinbegriffen erweitert und verblasst sind,
haftet der Bezug auf bestimmte Geräuscherzeuger, auf Holz oder
Wasser, noch an, sei es auch nur als flüchtige Assoziation. Ist
demnach die Bestimmung ihrer Herkunft die einzige Möglichkeit, von
Geräuschen zu sprechen, so ist andererseits die Erinnerung an
alltägliche Vorgänge oder Gegenstände, die Geräusche
produzieren, gerade das, was bei elektronischer Musik vermieden werden
soll.
Durch assoziierendes Hören wird elektronische Musik verzerrt und um
ihren musikalischen Sinn gebracht. Denn ein Geräusch musikalisch
hören bedeutet: es für sich, isoliert von der Außenwelt
wahrnehmen, statt es als Zeichen und Signal eines Vorgangs aufzufassen,
der es hervorbringt oder an den es erinnert. Das Geräusch
avanciert, formelhaft gesprochen, zum ästhetischen Gegenstand: zum
Objekt einer Betrachtung, die sich in ein Phänomen um seiner selbst
willen versenkt, unbekümmert um Herkunft und Zweck. Und so kann
denn auch der Begriff der Geräuschmusik - wenn das Wort "Musik",
zusammengesetzt mit "Geräusch", einen fasslichen Sinn haben soll -
nichts anders bedeuten, als dass Geräusche ähnlich wie
Töne wahrgenommen werden: als akustische Gegebenheiten, die
für sich selbst bestehen, herausgehoben aus dem Alltag, in dem
Geräusche Zeichen für Ereignisse sind.
Es ist das ästhetische Verhalten, das die Geräuschmusik zur
Musik werden lässt, ein ästhetisches Verhalten, das allerdings
an Eigenschaften des Objekts anknüpfen können muss. Nicht
jeder beliebige Gegenstand ist tauglich, sich durch ästhetische
Kontemplation in ein Kunstwerk zu verwandeln. ...
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Carl Dahlhaus
Ästhetische Probleme der elektronischen Musik
aus Fritz Winckel (Hrsg.), Experimentelle Musik, Schriftenreihe der Akademie der Künste,
Band 7, Berlin 1970, S. 81-90 |
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