Rolf Langebartels
Internetprojekt Soundbag


 
Klangbeutel Nr. 115
update vom 4. Januar 2003
... Das Ausweichen vor einer Beschreibung der elektronischen Musik ist allerdings weder ein Zufall, noch genügt es, den auffälligen Mangel einer Sucht der Komponisten zuzuschreiben, sich als Techniker zu maskieren. Die Schwierigkeit ist vielmehr in der Sache selbst begründet.
Ein Geräusch zu charakterisieren ist kaum anders möglich als durch Bestimmung des Gegenstandes oder Vorgangs, der es hervorbringt, oder durch Nennung anderer, ähnlicher Geräusche, an die es erinnert. Auch Worten wie "Knacken" oder "Rauschen", die zu übertragbaren Allgemeinbegriffen erweitert und verblasst sind, haftet der Bezug auf bestimmte Geräuscherzeuger, auf Holz oder Wasser, noch an, sei es auch nur als flüchtige Assoziation. Ist demnach die Bestimmung ihrer Herkunft die einzige Möglichkeit, von Geräuschen zu sprechen, so ist andererseits die Erinnerung an alltägliche Vorgänge oder Gegenstände, die Geräusche produzieren, gerade das, was bei elektronischer Musik vermieden werden soll.
Durch assoziierendes Hören wird elektronische Musik verzerrt und um ihren musikalischen Sinn gebracht. Denn ein Geräusch musikalisch hören bedeutet: es für sich, isoliert von der Außenwelt wahrnehmen, statt es als Zeichen und Signal eines Vorgangs aufzufassen, der es hervorbringt oder an den es erinnert. Das Geräusch avanciert, formelhaft gesprochen, zum ästhetischen Gegenstand: zum Objekt einer Betrachtung, die sich in ein Phänomen um seiner selbst willen versenkt, unbekümmert um Herkunft und Zweck. Und so kann denn auch der Begriff der Geräuschmusik - wenn das Wort "Musik", zusammengesetzt mit "Geräusch", einen fasslichen Sinn haben soll - nichts anders bedeuten, als dass Geräusche ähnlich wie Töne wahrgenommen werden: als akustische Gegebenheiten, die für sich selbst bestehen, herausgehoben aus dem Alltag, in dem Geräusche Zeichen für Ereignisse sind.
Es ist das ästhetische Verhalten, das die Geräuschmusik zur Musik werden lässt, ein ästhetisches Verhalten, das allerdings an Eigenschaften des Objekts anknüpfen können muss. Nicht jeder beliebige Gegenstand ist tauglich, sich durch ästhetische Kontemplation in ein Kunstwerk zu verwandeln. ...
Carl Dahlhaus
Ästhetische Probleme der elektronischen Musik
aus Fritz Winckel (Hrsg.), Experimentelle Musik, Schriftenreihe der Akademie der Künste,
Band 7, Berlin 1970, S. 81-90
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