Mozart Kugeln
Aus einem beliebigen Stück von Mozart werden zwölf Kernstücke
herausgelöst und (in Mono) auf die zwölf Speicherplätze einer
Sample-Bank verteilt. Welche Elemente als Kernstücke gelten sollen,
obliegt der Entscheidung der aufführenden Person. Es sollte sich um sehr
kurze Elemente, z.B. einzelne Töne handeln, möglichst unterhalb der
Schwelle eines wiedererkennbaren musikalischen Motivs. Auf keinen Fall
sollte eine Länge von fünf Sekunden pro Kernstück überschritten werden.!
Es soll der Frage nachgegangen werden, wie sich aus der Reduzierung
virtuoser Kompositionen auf ihre kleinsten Bestandteile und deren
Neukombination eine neue Form des konzentrierten Hörens entwickeln kann,
die nicht nur musikalische Großstrukturen als reichhaltige Musik
wahrnimmt, sondern auch kleineren klanglichen Elementen durch
Fokussierung neue Facetten abgewinnen kann.
Die Kernstücke können durch eigenes Einspielen der musikalischen
Elemente nach der Partitur gewonnen werden, aber auch durch Sampling
bestehender Aufnahmen, Radio- und Fernsehübertragungen von Mozarts Musik
- die Elemente sollen ohnehin so kurz sein, dass dies nicht mit dem
geltenden Urheberrecht kollidiert. Im Zuge einer Auseinandersetzung mit
der virtuellen Omnipräsenz des klassischen Kanons durch Tonträger usw.
ist das Sampling bestehender Aufnahmen sogar zu bevorzugen.
Der Ablauf des Stücks basiert auf Mozarts Lebensdaten
(27.01.1756-05.12.1791) und ihrem Verhältnis zum Datum der Aufführung.
In diesem Beispiel ist für die Aufführung der Samples 9-12 das
Aufführungsdatum 19. Mai 2006 zugrundegelegt. Alle Samples werden als
Loop abgespielt.
Sample 1 17 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 2 56 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 3 1 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 4 27 x abspielen und
Sample 1, 2, 3, 4 auf Reverse schalten
Sample 5 17 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 6 91 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 7 12 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 8 5 x abspielen, danach
Sample 6, 5, 8, 7 auf Reverse schalten.
Sample 9 20 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 10 6 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 11 5 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 12 19 x abspielen, danach weiterlaufen lassen und
Sample 12, 11, 10, 9 auf Reverse schalten.
Sample 6 löschen.
Sample 7 löschen.
Sample 5 löschen.
Sample 8 löschen.
Sample 4 löschen.
Sample 9 löschen.
Sample 3 löschen.
Sample 10 löschen.
Sample 2 löschen.
Sample 11 löschen.
Sample 1 löschen.
Sample 12 löschen.
Die vorstehenden Abläufe werden auf eine Playback-CD aufgenommen, die
bei der Aufführung des Stücks abgespielt wird.
Während das Playback läuft, entnimmt der Performer auf der Bühne vor
einem an den Eingang des Samplers angeschlossenen Mikrofon aus einer
Packung Mozartkugeln eine Kugel und wickelt sie aus ihrer
Silberpapier-Verpackung; ggf. mit Effekten das Geräusch verstärken. Die
Schokoladenkugel selbst wird beiseitegelegt. Es sollte für das Publikum
deutlich sichtbar sein, dass es sich bei dem Klangerzeuger um die
Verpackung einer Mozartkugel handelt. Falls die Folie vor Ende der
Aufführung zerfällt, werden weitere Kugeln aus der Packung entnommen und
die Aufführung mit deren Verpackung fortgesetzt. Während das Playback
läuft, nimmt der Performer, für das Publikum unhörbar, 12 Samples mit
Folienknistern und anderen Auspackgeräuschen auf.
Sobald die Samples des Playbacks abgeschaltet werden, werden die
Knistersamples laut abgespielt, und zwar im selben Rhythmus und in
derselben Reihenfolge, wie die Mozart-Samples abgeschaltet werden: 6, 7,
5, 8, 4, 9, 3, 10, 2, 11, 1, 12. Die Knistergeräusche lösen die
musikalischen Elemente also schrittweise ab. Sobald nur noch
Knistersamples zu hören sind, die ausgepackten Schokoladenkugeln vor dem
offenen Mikrofon deutlich hörbar verzehren. Währenddessen den
Volume-Regler des Samplers allmählich gegen Null drehen. Das Stück endet
mit dem unverstärkten Kaugeräusch, mit dem die aufführende Person den
letzten Rest der Schokoladenkugeln verzehrt.
Anmerkung:
Sofern sich - beispielsweise im Zuge eines Sponsoringvertrags
- ein Süßwarenhersteller findet, der entsprechend personalisiertes
Konfekt (Bachkugeln, Beethovenkugeln, ... Kagelkugeln) herzustellen
bereit ist, lässt sich dieses Konzept auch auf das Werk anderer
Komponisten anwenden.
04.04.2006/19.05.2006