Helga de la Motte-Haber - Konzeptionen von Klangkunst
Klangkunst war ursprünglich nur eine Übersetzung des englischen Wortes
Soundart, das seinerseits eine Variante von Visual Art gewesen war.
Gemeint war mit Soundart der Umstand, dass bildende Künstler begannen,
mit Klang zu arbeiten. Inzwischen aber ist Klangkunst eine Art
Gattungsbegriff geworden, eine Bezeichnung, die sich auf den
Zwischenbereich zwischen den traditionellen Kunstgattungen bezieht. Der
herkömmliche Kanon der Künste hat sich mit der Entwicklung von Mixed und
Multimedia allerdings längst aufgelöst; somit ist auch als
definitorisches Merkmal die 'Zwischenstellung' dahingeschmolzen. Trotz
zahlreicher Kritiken, die auf die Unschärfen hinweisen, hat der Begriff
Klangkunst jedoch eine große Zählebigkeit bewiesen und dies, obwohl es
nur wenige Institutionen gibt, die seiner Festigung dienen. Es handelt
sich um einen 'Regenschirmbegriff', der sehr Verschiedenes überspannt.
Rosalind Krauss hat diese schöne Metapher für alle neuen Begriffe, die
im 20. Jahrhundert entstanden sind, gebraucht. Ich würde diese Metapher
gern grundsätzlicher auf alle Benennungen anwenden, die seit der
Emanzipation der Ästhetik im 18. Jahrhundert in Umlauf gebracht wurden.
Symphonie ist beispielsweise auch ein 'Regenschirmbegriff'. Denn die
Gemeinsamkeiten zwischen einer drei Minuten dauernden Symphonie von
Adolf Scheibe und der einstündigen Neunten von Beethoven sind schwach
ausgeprägt. Nicht einmal die Charakterisierung als Instrumentalstück
wirkt zusammenfassend.
Klangkunst ist ein Begriff, der ein Netz von Vorstellungen kondensiert, die nicht bei jeder einzelnen Arbeit vorhanden sein müssen. Es ist sogar unmöglich, dass sie alle bei einer einzelnen Arbeit vorhanden sind, womit wir zu einem ersten wichtigen, allerdings nicht allein für die Klangkunst typischen, aber bei ihr besonders stark hervortretenden Merkmal kommen. 1. Die Individualisierung von Werken im 19. Jahrhundert und von Arbeiten im 20. und 21. Jahrhundert scheint ein fortschreitender Prozess zu sein. Sie macht es unmöglich, dass Werke oder Arbeiten allen Merkmalen eines Gattungsbegriffs genügen. Solche Einmaligkeit hängt mit der vor etwa 250 Jahren erfolgten Emanzipation der Künstler von funktionalen Bindungen zusammen. Auf die Proklamation der künstlerischen Freiheit - inzwischen zu einer globalisierten Vorstellung geworden - folgte die Idee des autonomen Werks, dessen Anspruch vor allem durch seine Einmaligkeit begründet wurde. Originalität und Neuheit sind unabdingbare Kunstkriterien, zumindest in unserem kulturellen Raum, geblieben. Der Prozess der Autonomisierung hat nach und nach alle Bereiche der Kunst erfasst, - ein Blick auf die Geschichte der Klangkunst eröffnet sich damit. Autonomisierung bedeutete in den Avantgardebewegungen in Europa im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und im Amerika der 1950er Jahre, die bis dahin noch existierenden Materialbindungen des Künstlers preiszugeben. Der bildende Künstler glaubte, nicht länger mehr an Pinsel, Farbe, Stein, Holz usw. gebunden zu sein, der Musiker, allen voran Alexander Skrjabin, machte sich die Farbe zu eigen. Den Zwischenbereich zwischen den Kunstgattungen zu betreten wurde zur abenteuerlichen Verlockung. Grenzüberschreitungen, die zu ästhetisch neuen Setzungen im Zwischenbereich der Kunstgattungen führten, prägten die ästhetischen Auffassungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. László Moholy Nagy hatte bereits in den 1920er Jahren versucht, durch Ritzungen auf Schallplatten optische Eindrücke regelrecht in akustische zu transformieren. Fast zur gleichen Zeit versuchte Erik Satie eine Möblierung von öffentlichen Räumen und Vorzimmern mit Klang. Damit war die Idee von Klanginstallationen geboren. Medial nicht begrenzte Formen zeigten dann in den 1960er Jahren, dass die traditionelle Einteilung der Künste unhaltbar geworden war, weil sich die Künstler unabhängig und autonom gegenüber dem Material verhielten. Der Autonomisierungsprozess hat inzwischen alle Kunstbereiche erfasst, auch die Präsentations- und Rezeptionsformen. Deutlich zeigt sich dies in den Environments und Installationen, am stärksten ausgeprägt ist die Autonomie des Rezipienten in Klanginstallationen. Sie präsentieren sich um den Rezipienten als energetisches Feld, das er stärker als bei den vis-á-vis gebotenen traditionellen Kunstformen möglich wäre, als eine facettenreiche, zu immer neuen Interpretationen auffordernde Struktur erleben kann. In solchen Klanginstallationen spielt die Wahrnehmung des Besuchers eine zentrale Rolle. Sie ist vom Künstler mitbedacht, um den Rezipienten regelrecht zum Mitbeteiligten zu machen. Akustische und optische Ereignishaftigkeit sind dabei eng miteinander verwoben. Nach diesen Überlegungen zum Autonomisierungsprozess der weiterhin auch fortschreitend gedacht werden muss, möchte ich zu einem weiteren Gesichtspunkt übergehen. 2. Klangkunst ist in zweierlei Hinsicht Standort bezogen geworden, einmal im Hinblick auf ihre räumlich konkrete Situierung und zum zweiten im Bezug auf den Standort des Rezipienten. Die konkrete räumliche Situierung, die - wie zuweilen im Fall der Land - Art eher den Ort und nicht die künstlerische Überformung zur Hauptsache erhebt, hat seit den 1960iger Jahren stark das künstlerische Denken beeinflusst. Sieht man von den Reflexionen des früh verstorbenen Robert Smithon ab, die Anlass zum späteren Schlagwort 'in situ# wurden, so setzten theoretische Überlegungen zur Standortbezogenheit und zum Raumbegriff im allgemeinen in den 1980er Jahren vermehrt ein. Im Zentrum standen Ideen wie Verzeitlichung von konkreten Räumen und Orten. Dahinter befand sich die Überlegung, dass der Mensch den Raum nur als Wechselspiel von Nähe und Entfernung sowie durch die Geschwindigkeit des Durchmessens oder durch die Bewegung des Blicks erschließen kann, das heißt durch die Integration von Zeitvorstellungen. Zudem ist der Raum selbst zeitlich-situationsspezifisch; er wird durch Tages und Nachtseiten verändert. Schallquellen, um auf eine artifizielle Verzeitlichung des Raumes hinzuweisen, können Innen und Außen verwischen. Viele wichtige und interessante Gedanken wurden entwickelt. Konkrete Räume zu betonen kann durchaus bei einer solchen zeitlich-dynamischen Konzeption im Zentrum der künstlerischen Gestaltung stehen. Durch die akustischen Stelen, durch den (wie immer künstlich plätschernden) blauen Brunnen in einem prominenten Bürohaus in Berlin (Friedrichstraße/Ecke Leipziger Straße) hat Bernhard Leitner dem Raum eine starke Präsenz für den Besucher verliehen. Grundsätzlich erscheint mir das Denken von Bernhard Leitner - und damit sei eine Anregung für die nachfolgende Diskussion gegeben - auf eine Weiterentwicklung von Architekturtheorie gerichtet, die - trotz aller musikalischer Analogien dynamisch konzipierter Gebäude - vor Leitners Arbeiten noch nicht realisiert wurde. Dies gilt selbst für Architekten, die wie Daniel Libeskind gern auf ihre musikalische Ausbildung hinweisen. Auch die dynamisch konzipierten Gebäude der letzten 20 Jahre folgen nämlich noch immer Isaac Newtons Vorstellung vom Raum als leerem Gehäuse. Die akustischen Konstruktionen von Bernhard Leitner hingegen vernetzen den Raum durch eine Klangstruktur. Sie setzen ihn dadurch unmittelbar in Beziehung zum Besucher, der ihn in allernächster Nähe spüren kann. Jüngst machte Bernhard Leitner mit dem Titel 'Kopfraumarbeiten# den Gedanken besonders deutlich, dass Raum letztendlich eine Interpretationsleistung im Kopf des Betrachters ist. Kunst wird dabei begriffen als eine Bedingung, die in einer Situation, an einem Ort, in einer Zeit zusammen mit dem Hörer/Betrachter spielt. Es ist ein Zufall, dass der Aufbau meiner Gedanken mit dem Gesichtspunkt des Inerscheinentretens der heute Abend hier die Veranstaltung eröffnenden Künstler zusammenfällt, das heißt, dass ich eine allgemeine Anregung geben kann, die auch für die nachfolgende Diskussion nützlich sein soll. 3. Präsenz und Vergegenwärtigung: Christina Kubisch hat viele Themen in ihren Installationen seit 1989 angeschnitten: 'Natur und Technik' mit Installationen in Wäldern oder wispernden Bäumen; Stille spielt in vielen ihrer Arbeiten eine Rolle, Drinnen und Draußen, Räume und Orte, Kirchen und Tiefgaragen. Geheimnisvolle fremde Ambiente scheinen zuweilen an alltäglichen Orten, etwa der bereits genannten Tiefgarage auf, deren umgerüstete Stützträger im ultravioletten Licht an der Wahrnehmensschwelle liegend; - im Dunkeln zu schweben schienen. Klänge und Geräusche von Wasser in allen ihren Erscheinungsformen tröpfeln und fließen in diesen Trägern. Christina Kubisch rückt bekannte Räume in die Ferne, allerdings um sie uns nahe zu bringen. Sie macht durch die Präsenz von Kunst zugleich etwas präsent, in dem sie veranlasst, durch die Kunst hindurch Bezüge zur Natur, zur Geschichte, zu Standortbedingungen des Besuchers,, wie im Fall der unter dem Wasserspiegel liegenden Tiefgarage zu dem, was darüber liegt, nämlich dem Grundwasser, zu entdecken. Der Akteur, der solche forschenden Vergegenwärtigungen zu vollziehen hat, ist die Wahrnehmung des Besuchers. Man könnte von einem komplizierten 'information processing' sprechen. Bereits Ende der 1960iger Jahre wurde in der Kunsttheorie die Unterscheidung von Presence (Gegenwart der Kunst) und Presentness (Vergegenwärtigung) getroffen. Die damals konservativ abwehrende Haltung hat eine bis heute (in der phänomenologischen Kunstbetrachtung) gut brauchbare Unterscheidung hervorgebracht. Der Begriff 'Gegenwart der Kunst' braucht nicht erläutert zu werden, wohl aber der der Vergegenwärtigung. Denn ist wirklich etwas Neues damit gemeint? Vergegenwärtigt nicht alle Kunst etwas, dass über ihre physische Präsenz hinausgeht? Man kann die Frage bejahen. Es gibt jedoch qualitative Differenzen zu berücksichtigen. Durch die traditionelle Kunst gewinnt oft ein Abwesendes Präsenz, meist ein Abwesend-Transzendentes. In neuartiger Kunst und besonders in den Installationen wird durch die Kunst die Präsenz von etwas eigentlich Anwesendem, aber nicht Registriertem präsentiert. Es werden damit die ökonomisch vereinfachenden Formate der Wahrnehmung aufgebrochen und verändert. Besonders die Installationen von Christina Kubisch, die in Kirchen stattfanden, zeigen, dass wir oftmals gar nicht wahrnehmen, was vorhanden ist, obwohl es Orte des Gedenkens sein sollen. So machte mich erst jüngst eine Arbeit dieser Künstlerin darauf aufmerksam, dass die Gedenktafeln in der Eingangshalle einer Berliner Kirche in verschiedenen Sprachen formuliert sind. 4. Im Zusammenhang mit Klangkunst sei noch ein weiterer Gesichtspunkt angesprochen: Das Ephemere. Klangkunst kann zwar fest installiert bleiben, aber in der Regel bleiben Klanginstallationen doch nur eine begrenzte Zeit an einem Ort. Sie haben Ereignischarakter, der nicht ganz so flüchtig wie ein Feuerwerk ist, das gern als Metapher für das Ephemere benutzt wird. Klangkunst ist in der Regel ephemer, das heißt, wenn man sich das französische Wort éphérmeride zunutze machen will, eine Art Abreißkalender. Das Ephemere ist eine zentrale Kategorie der Moderne, wahrscheinlich wurde es von Heinrich Heine im Zusammenhang mit den schon im 19. Jahrhundert durch die Eisenbahn fließend gewordenen Begriffe von Raum und Zeit zuerst thematisiert. Ob durch das Merkmal des Ephemeren grundsätzlich am Werkcharakter gerüttelt wird, möchte ich hier nicht ausführlich diskutieren. Denn den Musiker schreckt die Kategorie des Ephemeren ohnehin nicht. Robin Minard wird vielleicht sogar eher denken, dass rein äußerlich: In Minuten, Stunden und Tagen gerechnet, seine Installationen eine längere Dauer haben als die Aufführungen seiner Kammermusik- oder Orchesterwerke, die am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn standen. Seine Konzertinstallation 'Vier Räume', die uns in Situationen von größeren geweiterten Plätze versetzt oder von engeren Orten, als säßen wir in einer Schüssel, von einer Murmel umkullert, - diese 'Vier Räume' werden zwar nur einige von Ihnen kennen. Denn sie haben durchaus 'Event'-Charakter. Sie können eine Zeit lang in einem größeren Raum installiert werden. Wenn sie aber abgebaut sind, so sind sie doch nicht wie ein Feuerwerk verschwunden. Da Robin Minard seinen künstlerischen Lebensweg als Komponist begonnen hat, wird es ihm leichter fallen als manch anderem Künstler zu akzeptieren, dass Klangkunst mit der Musik das Problem teilt, eine mehrfache Existenzform zu besitzen. Erstens als klingendes Ereignis (im Fall der Musik eines Konzerts) und zweiten als Dokumentation (im Fall der Musik eine Partitur, die niemals dieselbe Aufführung ermöglicht). Die alte von Walter Benjamin getroffene Unterscheidung von eher totem Dokument und in die Gegenwart hineinragendem Werk hat für die Musik nie so recht gegolten. Heutzutage müsste sie neu bedacht werden, da die zweite Existenz von Kunst (auch von Musik in Gestalt einer CD), durch die immer weiter entwickelten Speichertechnologien ein neuartiges Gewicht erhält. 5. Klangkunst wird in letzter Zeit öfter thematisiert als 'Jenseits von Synästhesien'. Darin zeigt sich in der Tat Neuheit, wenngleich auch ein Verlust an Begrifflichkeit der durch die Kunst- und Wissenschaftsdiskussion bewirkt wurde. Synästhesie ist kein besonders alter Begriff. Er wurde erst 1892 von Jules Milet, einem französischen Psychologen, geprägt, der damit nicht nur die immer ganzheitlich funktionierende Alltagswahrnehmung meinte (wir nehmen immer Informationen durch alle Sinnesorgane auf), sondern auch den Umstand, dass unimodale Wahrnehmung multisensorisch aufgeladen ist. Wenn wir hören, schwingen darin visuell-räumliche Informationen oder auch synästhetische Momente wie Duftwahrnehmungen mit. Wir ergänzen auch interpretierend eine unimodale Wahrnehmung. Leider wurde der Begriff des 'Zusammenwahrnehmens', der der Synästhesie, auf die audition coloré eingeengt. In den Grenzüberschreitungen verschiedener Avantgarde-Bewegungen, des Expressionismus, teilweise des Futurismus und des Symbolismus, die zur Voraussetzung für die Klangkunst wurden, wurde solche Synästhesie als Farbenhören stark betont. Heute begehren Künstler wie Rolf Julius auf, auch wenn sie Farbpigmenten Klänge ablauschen, in dem sie sie hinzufügen. Sie begehren gegen den Begriff Synästhesie als Farbenhören auf. Es geht ihnen nicht um jene absurde Diskussion, ob der Ton c rot oder weiß ist, sondern es geht um jene abstrakte Gemeinsamkeit von Eindrücken, das heißt also um das, was im engeren Sinn als Wahrnehmung zu bezeichnen ist, die vor oder hinter der phänomenalen Ausformung liegt. In letzter Zeit wurde an Stelle von Synästhesie zuweilen der Begriff 'Allgemeinqualität', 'sensus communis' gebraucht. Dass dies nur teilweise richtig ist, möchte ich hier nicht ausführen, eher darauf hinweisen, dass noch viel theoretische Arbeit zu leisten ist. 6. Eine Vergrößerungslinse auf die Wahrnehmung: In den Klanginstallationen von Ulrich Eller erleben wir einen Raum als eine klingende begehbare Skulptur. Die Arbeiten von Terry Fox gewinnen der Dialektik von Hohlkörper und Körperlichem eine existentielle Dimension ab. Felix Hess führt dem Menschen seine Einpassung in die natürliche Umwelt (unter anderem die Druckverhältnisse der Luft auf der Haut) vor Augen und Ohren. Hans Peter Kuhn lässt erleben, wie die Ohren Sichtbarem Leben verleihen, so dass ein imaginäres Theater entstehen kann. Die gestimmten Räume von Andreas Oldörp sind doppelt gestimmt: Raum als Instrument, auch meiner eigenen Stimmung. Die traditionelle Kunst ist - in der schönen Formulierung von Ludwig Tieck - als Fernrohr der Sinne zu verstehen. Klangkunst hingegen richtet eher eine Vergrößerungslinse auf das Übersehen nahe und auch auf das Rätsel der menschlichen Wahrnehmung.
Berlin, 2002 |